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Protonic Red

  • Autorenbild: Tobi null
    Tobi null
  • 27. Sept. 2022
  • 11 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 28. Juli 2023

Head Up Display. Sieben Gänge. Doppelkupplungsgetriebe. Acht Zylinder. Je vier Ventile. 4361 Hub. 440 Nm Drehmoment. Heckantrieb. Von Null auf Hundert in 4,4 Sekunden. 305 Spitze. 450 PS. Sonderanfertigung. Ein Traum von einem Auto. Ich musste eine Menge Gefallen einfordern, bis ich endlich den Schlüssel überreicht bekam. Allein schon wegen der Farbe. Protonic Red.


Der BMW M3 GT schimmerte im Licht der aufgehenden Morgensonne in tiefstem Rot. Ich öffnete die Fahrertür und der Duft von echtem Leder ließ mich meine Schulden, den Gerichtstermin und die gepackten Koffer meiner Frau vergessen. Diese verdammte Schlampe. Ich riss mich von dem betörenden Neuwagengeruch im Wert von 200k los, denn ich wollte endlich meine Lunge mit dem Duft von verbrennendem Benzin füllen.

Das Lenkrad fühlte sich noch besser an, als in meinen Träumen. Ich drehte den Schlüssel. Der Motor brüllte wie ein Löwe und schnurrte wie ein Kätzchen. Doch ich wollte mehr. Ich kuppelte aus und trat das Gaspedal bis zum Anschlag. Das Gebrüll war fürchterlich, mein Grinsen von Wahnsinn besessen, denn ich wusste, ich war bereit. Das Einkuppeln ging mit einer Leichtigkeit, dass es mir den Atem stocken ließ und das Auto schoss vom Parkplatz über die Kreuzung. Ich fuhr durch die Straßen bis ich das Auto vor einem Betonbunker abstellte.

»Verpisst euch, ihr Azzlacks!«, brüllte ich die glotzenden Kinder an.

»Alter, voll krasses Auto! Wie viel hast du dafür vertickt?«

»Ne man, der hat voll einen Messer gemacht!«

»Verpisst euch, oder ich mach euch Friedhof!«, schrie ich und hob die Faust. »Und keiner fasst mein Auto an!«, schrie ich noch einmal und trat durch die Eingangstür. Eigentlich sollte sie verschlossen sein, doch das Schloss war aufgebrochen und die Tür aus den Angeln gehebelt worden. Genau wie das Leben der Kinder draußen, auf dem Spielplatz mit der verrosteten Schaukel und dem Aschenbecher von Sandkasten. Ich hatte da auch gespielt. Ich wusste, dass zwischen diesen Mauern aus Beton, Gewalt, Drogen und Armut kein Platz für Träume war. Entweder du warst die Tür oder das Brecheisen. So lief das hier.


Als ich endlich meine Wohnungstür öffnete, roch es nach Kippen, Aldibier und Pisse. Es riecht immer nach Pisse, schon beim Einzug. Das ist der Geruch der Armut. Obwohl ich die Wohnung mittlerweile nur noch als Bunker benutzte, fühlte ich mich zu Hause. Ich setzte mich für einen Moment auf das zerfetzte Sofa und genoss die Ruhe. Naja, mehr oder weniger. In der Nachbarwohnung stritt ein Paar lautstark auf ausländisch. Die Wände waren hauchdünn. Das Loch war immer noch da, seit der besoffene Nachbar gegen die Wand getreten hatte. Das ist jetzt über acht Jahre her. Seitdem verdeckte ein Schrank aus einem Einkaufswagen und Sperrholzbrettern das Loch. Ich seufzte. Es brachte nichts, noch länger Gedanken an Früher zu verschwenden. Ich erhob mich und ging ins Bad. Dort öffnete ich den Spülkasten der Toilette und fischte zwei Päckchen heraus. Das älteste Versteck der Welt, aber diejenigen, die in dieser Wohnung nach etwas suchten, die fanden es sowieso. Ich packte meine Zukunft in die Tasche, verschloss den Spülkasten und schaute mich noch ein wenig in der Wohnung um. Doch es hielt mich nichts mehr hier.


Der M3 wurde immer noch beglotzt, als ich ihn aufschloss und einstieg. Wenn ihr schon gaffen müsst, dann richtig. Ich trat die Kupplung durch, schaltete in den zweiten Gang und ließ die Drehzahl auf 3000 schießen. Die Triebräder drehten sich immer schneller, schliffen über den Asphalt und setzten den betörenden Duft von verbranntem Gummi frei. Ich ließ das Kupplungspedal fliegen, das Auto machte einen Satz und raste die Straße entlang. Es war ein berauschendes Gefühl. Ich habe mich selten derart lebendig und mächtig gefühlt.

Ich holte sie ab. Meine neue Freundin. Ein heißes Gerät. Aber nichts im Vergleich zu meinem neuen Auto.

Wir fuhren noch ein wenig durch die Straßen, schossen über die Autobahn, reizten die Kurven einer meiner liebsten Landstraßen aus, bis es endlich soweit war.


Die Chance, auf die ich drei Jahre gewartet habe, war endlich gekommen. Im Industrieviertel, auf dem Parkplatz einer verlassenen Lagerhalle. Im Licht der Scheinwerfer sah ich sie. Meine Schlampe von Frau, wie sie am Auto ihres Neuen lehnte. Dem Typen, dem ich mehr Geld schuldete, als meine Frau Schwänze lutschte und verdammt, sie hatte alle. Ich ließ das Auto rollen, kuppelte aus und trat auf das Gaspedal, um mich anzukündigen. Als ich ausstieg, wurde ich freundlichst in Empfang genommen. Meine Frau, zum Glück bald Exfrau, grüßte mich mit einem Lächeln, das Arroganz neu definierte. Dima gab mir die Hand und blies mir den Rauch seiner Zigarette ins Gesicht. Wie gerne hätte ich ihm seine verdammte Fresse eingeschlagen, doch seine Wachhunde hätten mir wahrscheinlich ein zweites Arschloch verpasst.

»Dein neues Spielzeug ist wirklich heiß. Wo hast du das denn aufgetrieben?«, fragte Dima mit schiefem Grinsen, als würde er meine Freundin ausziehen wollen, nicht nur in Gedanken, aber dann blieb sein Blick an meinem neuen Auto hängen und ich wusste, es war an der Zeit ihn fertig zu machen. Ein für allemal.


»Kommen wir lieber zum Geschäftlichen«, sagte ich und zog die zwei Päckchen aus der Tasche.

»20k als Anzahlung«, fuhr ich fort und übergab Dima die in Plastikfolie gewickelten Geldscheine. Er sah sie nicht einmal an, sondern warf sie zu einer seiner Marionetten.

»Ist das alles? Ein schlechter Witz ist das!«, blaffte Dima und zog an seiner Zigarette. Er war wütend, ich hatte mein Ziel erreicht, denn aus Wut wurde Dummheit und schließlich Fehler.

»Wie wärs mit einer Wette?«

Ich hatte ihn in der Tasche. »Die wäre?«, fragte ich, auf einen Ton der Unwissenheit bedacht. Bloß um ihn zu ärgern.

»Das weißt du genau«, raunte Dima, während er den Rauch ausblies. Dann schnipste er den Stummel in Richtung meines Autos. »Ein Rennen. Von hier bis zur Grenze und wieder zurück. Wie früher.«

»Was willst du, wenn du gewinnst?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte. Es ging schließlich um Autos. Es geht immer um Autos.

»Wenn du gewinnst, erlasse ich dir deine Schulden. Doch wenn ich gewinne gehört dein Auto mir«, machte Dima klar und zeigte grinsend auf mein Auto. »Und deine kleine Freundin.« Er lachte dreckig und zündete sich eine weitere Zigarette an.

»Einverstanden.«

»Lässt du mich mal unter die Haube schauen?«, fragte er und kam näher.

»Das fällt dir jetzt ein?« Ich legte meine Hand auf die Motorhaube. »Keine Chance. Du kennst doch die Werte eines Dreiers. Er ist deinem Auto unterlegen«, sagte ich und hielt seinem Blick stand. Aber er hat das bessere Fahrgestell. Dima lächelte, nickte und ging zurück zu seinem Auto. »Ich hoffe du bist hier nicht mit einer Karre von der Stange aufgetaucht.«

»Wir werden sehen«, sagte ich und drehte mich zu meiner Freundin. Sie lächelte und ich wusste, die Rache würde mein sein.


Wir schraubten unsere Nummernschilder ab und gaben sie, zusammen mit Führerscheinen und Fahrzeugpapieren, der Bargeldmarionette. Eine andere sprühte eine Startlinie auf die Straße. Ich betrachtete Dimas giftgrünes Auto genauer. Verdammter Leiskochel. Ich grinste in mich hinein. Noch dazu mit Heckspoiler. Hässlich und völlig nutzlos, nichts weiter als überflüssiges Gewicht. Ich öffnete die Fahrertür meines Autos, stieg ein und wartete bis meine Freundin Platz genommen hatte. Dann startete ich den Motor. Ich hoffte das Geräusch würde mich nicht verraten. Auch wenn 450 PS bei weitem nicht Spitze war, würde es für die bevorstehende Strecke ausreichen. Sie hatte schon so manchen meiner Kumpels auf dem Gewissen. So kurvenreich und gefährlich. Aber das ist die Gefahr die bei jedem Rausch besteht. Ich dachte nicht weiter darüber nach sondern rollte neben Dimas Auto auf die Startposition. Wir öffneten unsere Fenster.

»Auf dass der Bessere gewinnt!«, rief ich. Mein Exfrau warf mir einen giftigen Blick zu und ich küsste demonstrativ meine neue Freundin.

»Genieß dein neues Spielzeug, solange du noch kannst! Vergiss nicht, das Gesetz der Straße!«, brüllte Dima gegen den Motorenlärm an und grinste. Er ist sich Siegessicher. Sehr gut. Ich betätigte den Fensterheber, umschloss mit beiden Händen das Lenkrad und richtete meinen Blick starr auf die Straße, auf der sich mein restliches Leben entscheiden würde.


Die Fahne hob sich. Ich umklammerte das Lenkrad fester als jemals zuvor. Die Zeit schien sich ins Endlose zu ziehen. Dann endlich senkte sich die Fahne und wir schossen auf die Straße. Ich führte eine Weile, doch die nächste Kurve schätzte ich falsch ein und entkam nur dank Vollbremsung und Sportbelegen einem Totalschaden. Ich fluchte lautstark, schlug auf das Lenkrad ein und war dabei die Kontrolle gänzlich zu verlieren, doch meine Freundin küsste mir sanft auf die Wange. »Ganz ruhig. Er wird auch einen Fehler machen«, flüsterte sie in mein Ohr. »Du hast das bessere Auto und du bist der bessere Fahrer.«

Ich lächelte. Setzte von der Häuserecke zurück und nutzte die Beschleunigung der acht Zylinder und der Einspritzung voll aus. Ich konnte förmlich sehen, wie sich die Tanknadel neigte. Was mir ziemlich egal war. Wir mussten sowieso früher oder später nachtanken. Ich dachte nicht weiter darüber nach. Dafür war jetzt keine Zeit, denn ich sah das giftgrüne Heck von Dimas Wagen in der Ferne. Ich kam bis auf etwa hundert Meter ran.

»Mach langsamer, Dima. Da kommt gleich eine Temposchwelle«, murmelte ich und grinste.

Der Reiskocher machte einen Satz, begann zu Schlingern und wäre beinahe in den Graben gerast. Ich bremste stark, lenkte auf die Gegenspur und wich einem Stück Unterboden von Dimas Wagen aus.


Ich machte Druck und an der Autobahnauffahrt drängte ich mich an ihm vorbei. Dank dem Laster der wild hupend hinter mir bremste und ihm den Weg blockierte konnte ich einen Vorsprung aufbauen. Im Tunnel lösten sämtliche Blitzer aus, als ich mich mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit zwischen den wildhupenden Autos hindurchschlängelte. Beinahe wäre ich in einen LKW geknallt, der sich ein Elefantenrennen lieferte. Ich traf rechtzeitig eine Entscheidung, zog nach rechts auf den Standstreifen und überholte. Dabei schätzte ich die Lücke falsch ein und opferte meinen rechten Außenspiegel.

»Das war verdammt knapp«, sagte meine Freundin. Es glich einem Keuchen.

»Wer bremst verliert«, murmelte ich, sah in den Rückspiegel und konnte Dimas giftgrünes Auto ausmachen. Auch er hatte die Straßensperre aus LKWs hinter sich gelassen. Ich schoss aus dem Tunnel, wurde durch die einfallende Sonne geblendet und trat instinktiv auf die Bremse. Als sich meine Augen ausreichend arretiert hatten, war ich froh gebremst zu haben. »Verdammtes Rentnermobil!«, schrie ich und hupte.

Das Auto vor mir, ein rostender Punto, setzte den Blinker und machte die linke Spur frei. Ich schaltete zurück und trat das Gaspedal durch. Der Motor heulte auf, das Auto beschleunigte, bis der Drehzahlmesser gefährlich nahe an die Begrenzung kam. Ich schaltete hoch und das Heulen ging in ein Schnurren über.


Die Autobahn wurde vierspurig und unbegrenzt. Dank dem wenigen Verkehr konnte ich die Leistung meines BMWs voll ausnutzen. Doch Dima konnte das ebenfalls und holte mich ein. Einige Tunnels folgten in denen eigentlich nur 80 erlaubt war und wieder löste ich eine Kette an Blitzern aus. Ich legte einige Kilometer zurück bis vor mir ein Streifenwagen auftauchte. Ich bremste und hupte. Doch statt Platz zu machen ging das Blaulicht an. Ich fluchte lautstark, trat die Bremse durch, schlingerte und wäre beinahe auf die Cops geknallt. Dima zog an mir vorbei und ich schlug auf das Lenkrad ein. Dann setzt ich weit zurück um genug Platz zwischen den Bullen und mir gutzumachen, beschleunigte und schoss an dem Streifenwagen vorbei. Er folgte mir mit Blaulicht und Sirene, hatte jedoch Probleme dranzubleiben. Ich konnte Dima in der Ferne sehen und wusste, ich hatte eine Chance.


So fuhren wir ein Weilchen, bis drei Streifenwagen mit Blaulicht aus der Autobahnauffahrt bogen. Das erste, flach und wahrscheinlich ein Wolf im Schafspelz, setzte sich vor Dima und versuchte ihn mit Schlangenlinien zum Bremsen zu zwingen. Die beiden anderen nahmen ihn in die Zange.

»Jetzt hängen sie also auch an deinem Arsch«, murmelte ich und grinste. Doch meine Freude währte nicht lange, denn in einer engeren Kurve hörte ich ein Knallen.

»Das sind Schüsse, oder?«, fragte meine Freundin.

Ich nickte nur. Das hintere rechte Polizeiauto sackte mit der Stoßstange auf die Straße, sprühte Funken und überschlug sich. Ich wich den Trümmern so gut ich konnte aus, hätte beinahe eine Familienkutsche gerammt, doch konnte das Steuer wieder herumreißen. Im Rückspiegel sah ich wie mein Verfolger anhielt um nach seinen schwer verletzten oder toten Kollegen zu sehen.


Die Verfolgungsjagd pendelte sich in einem Mittelmaß ein. Die Polizisten hingen immer noch an Dimas Heck und ich hielt Abstand, denn ich wollte es nicht riskieren zu überholen. Bis zu der Straßensperre. Im Schatten eines kleines Wäldchen standen sie. Hinter einer Kurve. Vier Streifenwägen. Nadelbänder. Dima sah sie zu spät. Sein Auto kam mit der rechten Seite auf das Nadelband. Mit einer Vollbremsung gelang es ihm Schlimmeres zu verhindern. Sofort keilten ihn die Streifenwagen ein. So entstand eine Lücke und ich konnte vorbeiziehen. Es folgte mir niemand. Ich war siegessicher.


Ich fuhr langsamer um Sprit zu sparen, doch es war unausweichlich, dass sich die Tankanzeige meldete.

»Wir müssen tanken«, sagte ich und rollte auf den Pannenstreifen. Ich stieg aus, öffnete den Kofferraum und lud Benzinkanister aus. Meiner Freundin gab ich das Warndreieck. »Stell es auf. Mit Benzin an den Händen will ich nicht unbedingt gerammt werden.«

Sie nickte und ging. Ich öffnete die Tanköffnung und begann Kraftstoff einzulassen. Gerade als ich den Schlauch des zweiten Kanister einführte, hörte ich zuerst einen Schrei, dann ein Krachen in der Nähe. Ich dachte mir zuerst nichts dabei, dann fing es an zu regnen. Ich sah auf, doch es war Blut. Dann schlug etwas so heftig gegen mein Heck, dass ich den Benzinkanister fallen ließ und der Kraftstoff auslief. Ich fluchte, sah zum Kofferraum und ich begann zu keuchen. Tränen liefen mir über mein Gesicht. Heiß und klebrig. Ich drehte den Kopf des blutigen Körpers und sah in das weit aufgerissen Auge meiner Freundin. Ihr Kopf war zur Hälfte zermatscht worden. Ich ließ ihn fallen und machte einige Schritte zurück. Mein Herz klopfte in meiner Brust, Panik stieg in mir auf und ich sah mich um. In diesem Moment fuhr Dimas giftgrünes Auto an mir vorbei. Die Scheibenwischer schmierten über die gebrochene, blutverschmierte Frontscheibe.

»Du Bastard!«, schrie ich, stürmte zur Fahrertür, stieg ein und ließ den Motor an. Das Brüllen war kaum verstummt, da trat ich das Gaspedal durch. Ich beschleunigte unentwegt. Sein lädiertes Auto schien nicht mehr zu Höchstleistungen bereit und so konnte ich mich knapp an seinen Arsch hängen. Ich rammte ihn mehrere Male und löste so den Fußgängerschutz und die Airbags des Beifahrers aus, die auf meiner Seite hatte ich überbrückt. Ich hätte beinahe selbst die Kontrolle verloren und unterließ diese Verzweiflungstat. Sein Heckspoiler löste sich und knallte auf meine Motorhaube. Ich schob mich neben ihn, er richtete seine Waffe auf mich und ich schlug das Lenkrad ein. Mit einem Krachen drängte ich ihn gegen die Leitplanke. Wir schliffen uns gegenseitig den Lack ab, Funken flogen, ich löste mich ein Stück von ihm und holte zu einem neuen Angriff aus. Doch Dimas Auto schien sich in der Leitplanke verkeilt zu haben, denn es stoppte ruckartig, das Heck hob sich und das Fahrzeug schleuderte durch die Luft. Ich machte eine Vollbremsung. Schnaufte schwer, schloss einen Moment die Augen und wischte mir die Tränen ab.


Als ich wieder mehr oder weniger bei Verstand war, rollte ich neben das auf dem Dach liegende Wrack und stieg aus, eher kletterte ich. Allerdings über die Beifahrerseite, denn die Fahrertür klemmte. Nach alter Gewohnheit schloss ich mein Auto ab. Ich lief auf den Klumpen Altmetall zu. Ich hörte ein Stöhnen. Der Beifahrerraum war zerdrückt, aber leer. Ich sah mich um. Keine Spur von meiner Frau. Als ich zur Fahrerseite kam, versuchte Dima die Waffe zu erreichen, trotz seiner offensichtlich schweren Verletzungen. Ich packte ihn, schnitt seinen Gurt mir dem Cuter an meinem Schlüsselbund durch und zerrte ihn auf die Straße. Erst jetzt bemerkte ich die Autos hinter mir. Einige der Fahrer waren ausgestiegen und kamen auf mich zu. Sie riefen, dass sie uns helfen wollten. Doch ich wollte ihre Hilfe nicht. Schließlich hatte ich noch eine Rechnung zu begleichen. Ich fasste in den zerstörten Innenraum des Reiskochers und ergriff die Pistole. Ich richtete die Waffe zuerst auf die Unfallzeugen. Ein Mann hob die Arme und trat einige Schritte zurück. Dann feuerte ich einen Schuss in die Luft ab. Niemand traute sich mehr näher zu kommen.


Ich beugte mich über Dima und hielt ihm die Waffe ins Gesicht. »Warum hast du sie überfahren? Wie konntest du mich so schnell einholen? Was ist mit deinen Reifen? Wo ist die Polizei? Wo ist meine Exfrau?«, überschwemmte ich ihn mit Fragen.

Doch er grinste nur blutüberstömt. »Un … Un … Fall.«

»Antworte!«, schrie ich und schlug mit der Waffe auf ihn ein.

»Voll ... Vollgummi«, flüsterte er und hustete. Er spukte Blut und Zahnsplitter aus und grinste noch breiter.

Gerade als ich zu einem weiteren Schlag ausholen wollte, wurde mir die Waffe aus der Hand geschlagen, mein Arm gepackt und auf den Rücken gedreht. Unsanft schlug ich mit dem Kopf auf dem Boden auf. Ein Knie drückte sich auf meine Wirbelsäule und mir wurde ein Achter angelegt. Im Augenwinkel sah ich Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr, Notarzt und Streifenwägen. Die Ärzte begannen Dima zu versorgen. Ich wurde unsanft zu einem der Polizeiautos gezogen.

»Es hätte meine Rache sein sollen!«, schrie ich, riss mich los und versuchte mich der Festnahme zu entziehen. »Meine Rache!« Ich kam vier Meter weit. Dann wurde ich zu Boden gerissen. Ich zappelte, trat und zeterte bis sie mich zu einem der Rettungswagen gezerrt haben.

»Geben Sie ihm ein Sedativum«, sagte einer der Polizisten. Der Sanitäter nickte. Ich versuchte mich zu wehren, doch die Nadel steckte schon in meinen Arm.


Nach einer Weile kam eine Beamtin mit meiner Geldbörse zu mir. Ich musste sie im Auto gelassen haben.

»Kennen Sie diese Frau?«, fragte sie und zeigte mir ein Foto.

»Ja. Das ist meine Frau.« Geistesabwesend korrigierte ich mich: »Exfrau.« Mein Kopf tat irre weh und ich schmeckte Blut. »Was ist mit ihr?«, fragte ich benommen.

»Tut mir leid Ihnen das mitteilen zu müssen, aber sie ist tot. Sie starb bei einem Schusswechsel mit der Polizei.«

Ich starrte auf das Bild meiner Frau. Ihre Haare waren matt rötlich und erstrahlten im Schein der untergehenden Abendsonne. Protonic Red. Ich brach in Tränen aus.

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