Bis zum letzten Tropfen
- Tobi null

- 30. Sept. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Der Krieg hatte uns schließlich den Rest gegeben. Aber mittlerweile verstehe ich es. Es ist drei nein vier Tage her, dass ich das letzte mal etwas getrunken habe. Ich bin an einem Punkt, an dem ich auch töten würde, selbst für einen einzigen Tropfen.
In der Ferne teilte ein gewaltiges Leuchten den spät abendlichen Himmel und ließ mich aufschrecken. Mein Bleistift brach ab. Bei dem darauf folgenden Donnergrollen lächelte ich. In Windeseile packte ich meine Sachen, warf mir den Rucksack über und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Ich marschierte, die Kehle brannte als würde ich versuchen grob gesalzene, heiße Rasierklingen zu schlucken. Eigentlich hatte ich vergessen was Durst ist. Aber manchmal kam er mit einem solchen Schrecken zurück, dass ich es kaum verstehen konnte. Die Nacht verging schnell, denn endlich hatte ich wieder ein Ziel. Als die Sonne aufging fluchte ich, ich zwang mich weiterzugehen, dem Leuchten schon so nahe. Aber schnell war es so heiß, dass ich es nicht mehr aushielt. In einem toten Waldstück spannte ich meine Plane auf, um zumindest Schatten zu haben, und erneuerte meine ohnehin schon dicke Schicht Sonnencreme. Auch wenn ich eigentlich wusste, dass es für’n Arsch war. Die Tube musste eben leer werden. Es überraschte mich, aber ich musste tatsächlich pissen. Ich hielt es noch eine Weile zurück, klappte mein Kochgestell aus und fing an den Bleistift mit einem Taschenmesser zu spitzen. Die Späne waren schon immer der beste Zunder gewesen. Noch währenddessen ärgerte ich mich, dass ich nicht ein paar mehr verdorrte Zweige aufgesammelt hatte. Die nächsten lagen so, dass mich die Sonne verbrennen würde. Das konnte ich nicht riskieren. Nicht noch einmal. Ich pinkelte einen dünnen Strahl in meine primitive Destille. Es schmerzte. Die Pisse war tief orange, irgendwie zäh und stank fürchterlich. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber mein Mund, meine Schleimhäute, alles wurde noch ein bisschen mehr zu dem rissigen Staub auf dem ich saß. Das Notizbuch opferte ich größtenteils. Es würde sowieso niemand lesen. Ich schrieb nur, um nicht völlig irre zu werden. Und mein eigenes Blut zu trinken oder so. Pisse musste reichen. Das Feuer loderte, und trotz der zusätzlichen Hitze fühlte ich mich geborgen. Auf der Suche. Nach dem Quell des Lebens. Gierig trank ich den kläglichen Rest den mein Urin hergeben hatte. Meine Kehle und vor allem mein Kopf brannten etwas weniger. Ich liebäugelte auch noch die Dose Orangenlimo zu trinken die ich seit einigen Wochen mit mir herumschleppte. Aber ich widerstand der köstlichen Versuchung. Hauptsächlich aus Angst danach noch durstiger zu sein. Ich sah in die Richtung in der ich das Leuchten vermutete und lächelte. Dann schlief ich, um zu Sonnenuntergang wieder zu marschieren. Ich war mir so sicher, dass ich das rettende Gewitter erreichen würde. Ich musste einfach. Selbst wenn es nur ein paar wenige Tropfen sein würden.
Doch in der Hitze des übernächsten Tages begannen die Zweifel. Vielleicht hatte ich es mir auch einfach nur eingebildet. Eine Halluzination. Dieser entsetzliche Gedanke hielt mich wach. Mein Gehirn musste so ausgetrocknet sein, dass die Schwelle zum Wahnsinn nicht mehr weit sein konnte. Ebenso wenig der Tod. Und genau dieser Gedanke trieb mich an. Ich wollte nicht sterben. Verdammt! Nicht so! Ich trank meine aller letzte eiserne Reserve. Mein Körper schrie dagegen an, aber als die Nacht kam marschierte ich weiter. Immer weiter. Dem Donnergrollen entgegen. Ich hörte und spürte es ganz deutlich. Das Wummern. Das konnte keine Einbildung sein! Ich musste nur noch ein bisschen weitergehen. Ich war so auf das Ziel fixiert, dass ich den Tagesanbruch zu spät bemerkte. Die Sonne brachte mich mit ihrer erbarmungslosen Kraft zu Fall. Ich konnte noch in den Schatten eines Autowracks kriechen und sogar die Plane über mich spannen. Ich musste sogar pissen. Das wiederum war eine Einbildung. Zwei schmerzende Tropfen brachte ich heraus. Verzweifelt wie ich war benetze ich mir mit ihnen meine Lippen. Was ich sofort bereute. Salz in die Wunde zu streuen war harmlos dagegen. Von Schmerz, Wut und Verzweiflung gepackt zerschlug ich meine Destille. Das hatte mir die letzte Kraft geraubt. Es ist jetzt nicht einmal Mittag und das Auto an dem ich lehne gleicht einem Hähnchengrill. Die Nacht ist noch in so endloser Ferne. Und ich habe solchen Durst. So unerträglichen Durst. Ich kann nicht mehr. Und wenn es sicher die letzten Zeilen beutet, werde ich jetzt diese verdammte Orangenlimo trinken. Ich habe sie mir verdient. Und ich werde sie genießen. Bis zum letzten Tropfen.
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Man hört es immer wieder. Es ist viel zu trocken. Und das mach mir verdammt nochmal eine scheiß Angst. Klar, im Moment regnet es wieder vermehrt. Aber was ist, wenn es eines Tages das letzte Mal geregnet hat?
Ich weiß noch nicht, ob ich diese Geschichte hier einfach so enden lassen soll und der Protagonist drauf geht. Verdurstet, gebraten am ›Hähnchengrill‹. Auf der Suche nach dem Quell des Lebens. Auf der Jagd nach dem Gewitter, dass es vielleicht oder vielleicht auch nicht gibt. Dass die Story in der Art eines Tagebuchs geschrieben ist war eher Zufall. Und an den meisten Stellen klingt es für mich auch noch zu sehr nach Erzählstimme, nicht nach Gedankenstimme/innerer Monolog. Ich werde das noch optimieren. Notiz an mich: ich muss wirklich mal versuchen etwas Positives zu schreiben. Bis dahin: seid dankbar für jeden Tag an dem noch Wasser aus eurer Leitung kommt …

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