Eine gute Reise
- Tobi null

- 28. Sept. 2022
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Sept. 2022
Sensoren schlugen Alarm. Und ich war gerade mit Aufgaben beschäftigt, die etwa
so fordernd waren, wie eine Hautzelle zu verlieren. Also von Null auf Hundert in einem Wimpernschlag.
»Was ist los, Parcival?«, rief Jimmy.
»Feuer«, antwortete ich kurz.
»Was! Das kann nicht sein!«
»Schon«, gab ich zurück und überflog die Schadensanalysen. »Wie es scheint ist der Gärtank undicht geworden. Das Methan ist unbemerkt ausgetreten, hat sich verteilt und ist uns schließlich um die Ohren geflogen.« Die plötzliche Menge an Ausfällen war dabei die Überhand zu gewinnen. Ich fuhr hier Systeme runter, überbrückte dort, schloss Schleusen und isolierte so immer mehr Bereiche. Doch die Effekte waren eher bescheidener Natur. Kurz: ich kam an meine Grenzen. Wir verloren gerade die Gewächshäuser als ich realisierte, dass wir das Feuer so nicht löschen konnten. Ich rief Jimmy: »Momentan brennen nur sekundäre Systeme. Damit es nicht zu einem missionskritischen Ausfall kommt, müssen wir die brennenden Teile … abtrennen.«
»Haben wir schon! So gut wie alle Schotts sind dicht! Sauerstoff ist abgedreht!«
»Jimmy, das reicht nicht. Ich meine richtig trennen.«
Jimmy schien endlich zu begreifen, denn er fragte: »Welche?«
Gärtank, Fitnessstudio, Gewächshäuser, zwei Container mit Ersatzteilen – ihr Verlust schmerzte. Aber noch mehr, dass wir die in die Module integrierten Solarzellen und Akkumulatoren verloren.
»Feuer gelöscht. Stromversorgung unzureichend. Kritischer Ausfall steht unmittelbar bevor.«
»Alles abschalten!«
»Natürlich, Jimmy. Aber ich kann die missionskritischen Areale nicht vom Stromnetz trennen. Das musst du manuell tun.«
»Ich soll was?«, rief Jimmy entgeistert.
»Den Strom rationieren. Nach meiner Einschätzung ist ein Erfolg der Mission noch immer wahrscheinlich. Rechenfarm, Antrieb, Lebenserhaltung, Saatkapseln, Embryonentanks. Alles in Betrieb. Aber du musst etwas davon abschalten.«
Jimmy schwieg lange. Dann fragte er: »Was würdest du abschalten, Parcival?«
»An deiner Stelle, Jimmy, würde ich mich abschalten. Ich verbrauche viel Strom.«
»Nicht mehr als die Lebenserhaltung.«
»Das würde deinen Tod bedeuten.«
»Verdammt, ich weiß! Aber ich weiß genauso gut, dass du dich besser um dieses Schiff und die kostbare Fracht kümmern kannst als ich. Wir haben die Verantwortung für 500 Menschen. Und die Saat tausender Pflanzen. Was macht da ein Leben schon aus. Ich kannte das Risiko. Es kann sowieso niemand sagen, ob die Lebenserhaltung die nächsten 20 Jahre durchhält.«
»Ich möchte dich ungern unterbrechen, aber die Zeit drängt.«
»Ich werde die Lebenserhaltung abschalten«, sagte Jimmy.
Er klang entschlossen, trotzdem musste ich dem Protokoll folgen und ihn erneut fragen: »Bist du dir sicher?«
»Ja.«
»Bestätigt. Ich gebe dir Anweisungen.«
Als es dann so weit war, sagte Jimmy noch: »Pass gut auf das Schiff auf, Parcival. Und auf die Fracht. Ich übertrage dir die volle Kontrolle.« Er atmete schwer aus, dann sagte er möglichst deutlich: »Auflösung der Mensch-Maschinen-Interaktion durch den Kapitän, Kennung: James McHaul-963.« Auf der Brücke öffnete sich eine Abdeckung, er nahm die Kette mit dem Masterkey ab und steckte ihn in die Aussparung die mir uneingeschränkten Zugriff auf sämtliche Schiffssysteme gewährte. Ein grünes Licht leuchte auf und die Konsole schloss sich.
Ich schwieg einen Moment, der zusätzliche Datenfluss überwältigte mich. Ich blockierte ihn und sagte: »Danke für dein Vertrauen. Ich werde mein bestes tun.«
»Wir hatten eine gute Reise, nicht wahr.«
»Ja, Jimmy, die hatten wir.«
»Ich hoffe, es geht schnell.«
»Ja Jimmy, du wirst nichts merken.«
»Danke, Parcival.«
»Ich danke dir, Jimmy. Ich werde dich vermissen.«

Kommentare